In diesen Novembertagen erleben wir es immer wieder, dass sich starker Nebel über unsere Stadt und unser Land ausbreitet. Gebäude, Parkanlagen, Felder und Wiesen sind wie mit einem Schleier umhüllt, verdeckt und gar zugedeckt. Ein Durchblick oder gar klarer Blick ist nicht mehr möglich.
An das Bild des Schleiers, der verdeckt, verhüllt und umhüllt, musste ich beim Betrachten einer Zeile aus dem großen eucharistischen Hymnus des mittelalterlichen Theologen und Dominikaners Thomas von Aquin denken, die lautet:
„Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht, stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht: Lass die Schleier fallen einst in deinem Licht, dass ich selig schaue, Herr, dein Angesicht.“
(Thomas von Aquin, GL „Gottheit tief verborgen“ 497,7)
Auslegung des Verses
Es ist ein Vers, der unsere Glaubenshoffnung in poetische Worte fasst. Er sagt aus: Dann, wenn wir auf Jesus in der Eucharistie schauen – auf dieses gewandelte Brot – dann erhalten wir einen Blick auf die Hoffnung, die wir nicht nur mit unserem irdischen Auge schauen, sondern wir erhalten einen Blick auf das Schauen der Herrlichkeit des Himmels. Es ist ein auf Erden noch verhüllter Blick, wie Thomas meint. Denn unser menschlicher und irdischer Blick ist getrübt durch die Schleier, die erst im Licht der Herrlichkeit fallen werden, um dann von Angesicht zu Angesicht Gott schauen zu können.
Diese Schleier sind für uns Menschen unsere Trauer, unsere Fragen, unsere Verlassenheit, Angst und Sorge, die alle natürlich, menschlich und auch verständlich sind.
Und das kennen wir selbst aus unserem Glauben, gerade in Momenten des Abschiedes. Das kennen vielleicht auch Sie, als Sie sich von Ihren Lieben verabschieden mussten. Manchmal scheint sich in den Momenten des Abschiedes auch im Glauben ein gewisser Schleier zu bilden, sodass es Menschen schwerfällt zu vertrauen, zu hoffen, ja sogar manchmal auch zu glauben.
Ein solcher Schleier können die Fragen rund um das Warum und Wieso sein. Oder manchmal auch einfach nur eine Stimmung oder ein Gefühl, das man gar nicht richtig in Worte fassen kann.
Es sind vielleicht manchmal auch Zweifel, Skepsis und mangelndes Vertrauen in Gottes Größe, die uns Menschen kommen, wenn wir dem Tod unverhüllt ins Auge blicken.
Wie wichtig ist es aber, immer wieder die Schleier zu lüften! Es zumindest zu versuchen, um so einen klaren Blick zu erhalten!
gemeinschaftliches Gebet stärkt und tröstet
Mir scheint die Erste Lesung aus dem zweiten Buch der Makkabäer (2 Makk 12,43-45) einen solchen Zugang zu vermitteln. Denn darin wird gesagt, dass Judas, der Makkabäer, seine Mitmenschen zum Gebet für die Verstorbenen versammelt. Sie beten, damit von den Verstorbenen alle Schleier abfallen und sie Gott schauen dürfen. Und zugleich hilft das gemeinschaftliche Beten, auch selbst manche Schleier der Traurigkeit in den Momenten des Abschiedes fallen zu lassen.
Ich habe das vor einigen Jahren erlebt, als wir als junge Ministranten in meiner Heimat zusammenstanden und gemeinschaftlich gebetet haben. Wir taten das, als wir uns von einer engagierten, jung verstorbenen Ministrantin in meiner Heimat verabschiedet haben. Das gemeinschaftliche Gebet half uns und wir konnten Schritt für Schritt und im Laufe der Zeit die Schleier der Trauer fallen lassen. Auch Paulus empfiehlt der Gemeinde von Tessalònich in seinem Brief (1 Thess 4,13-18) das gemeinschaftliche Gebet. Am Ende der heutigen Zweiten Lesung sagt er ihnen, dass sie sich gegenseitig mit den Worten trösten sollen, da nach dem irdischen Tod die Schleier vor Gott fallen, wenn Er geschaut werden kann.
Und zuletzt finde ich Jesus im heutigen Evangelium (Joh 11,17-27) sehr sympathisch. Er weint um seinen Freund Lazarus, der im Grab liegt. Auch bei ihm – dem irdischen Jesus – hüllt die Trauer den Glauben und die Hoffnung ein. Doch zugleich kann er seine Schleier der Ungewissheit ablegen, da er ja selbst die Auferstehung und das Leben ist. Eben das spricht er der von nicht ausreichend Vertrauen erfüllten Marta zu. Indem sie ihm vertraut, lässt aber auch sie ihre Schleier der Trauer immer mehr fallen und findet Vertrauen im Glauben.
Lass die Schleier fallen – soweit es dir möglich ist.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus Jesus: Jesus, der Auferstandene, will uns und unseren Verstorbenen zusprechen:
„Mag auch manches hier auf Erden den Blick auf das Leben bei Gott verhüllen, so vertraue mir, wenn ich dir zusage, dass das Leben auf dich wartet.“
Das ist sicher nicht immer leicht zu leben, weshalb ich auch verstehen kann, dass unsere Welt in Bezug auf den Tod oft genug wie verschleiert wirkt. – Etwa, wenn Menschen etwa große Furcht davor haben oder überhaupt nicht über dieses Thema sprechen können oder wollen.
Der christliche Glaube aber will uns sagen: Du kannst deine Schleier ablegen, auch wenn du Zeit dafür brauchst. Wir dürfen das Leben einst unverhüllt schauen – bei Gott in seinem Reich. Alle Hüllen werden dort fallen und wir dürfen Gott in seinem Licht schauen. Davon ist Thomas von Aquin in seinem Hymnus überzeugt.