„Welchen Blick hat die Bibel darauf? – Der Protestantismus“
Nach dem Blick auf die Orthodoxie möchte ich heute auf den Protestantismus blicken. Deshalb habe ich die heutige Predigt auch unter die Überschrift „Welchen Blick hat die Bibel darauf? – Der Protestantismus“ gesetzt.
Die Säulen des Protestantismus
Die fünf großen Prinzipien des Protestantismus lauten bekanntlich:
- sola fide (allein der Glaube)
- sola scriptura (allein die Schrift)
- solus Christus (allein Christus)
- sola gratia (allein die Gnade)
- Und: sola Deo gratia (allein Gott die Ehre geben)
Es sind die großen Säulen der Reformatoren, mit denen sie ihre neuartigen Lehren ab dem Jahr 1517 in verschiedenen europäischen Ländern kundgetan hatten. Denn das kann bereits vorab gesagt werden: Den einen und einheitlichen Protestantismus gibt es nicht.
Kirche und weltliche Herrscher in enger Verzahnung
Der Begriff übrigens hat eine politische Dimension und wurde erst 1529 als Sammelbegriff für die Angehörigen der christlichen Gemeinschaften verwandt, die sich ausgehend von Deutschland, der Schweiz, Mittel- und Nordeuropa im Laufe des 16. Jahrhunderts immer mehr als eigene und eigenständige Gemeinschaften und Kirchen verstanden haben.
Sie alle gehen zurück auf Männer, die aus den unterschiedlichsten Gründen Kritik an der katholischen Kirche geübt haben. Sie wollten die Kirche reformieren, verändern oder eben auch bekämpfen. So zählen zu den bekanntesten Reformatoren neben Martin Luther, Philipp Melanchthon, Huldrych Zwingli, Jan Hus, Martin Bucer und Johannes Calvin noch: Thomas Müntzer Andreas Bodenstein, Andreas Osiander und Urbanus Rhegius.
Gefördert war ihr Tun und Denken zumeist von wohlhabenden evangelisch gesinnten Fürsten, wie etwa Luthers Freund, der Landesherr und Kurfürst Friedrich der Weise, der Luther für seinen `Lockdown` auf der Wartburg Unterschlupf bot, da er nach dem Reichstag zu Worms für vogelfrei erklärt wurde, weshalb ihn jedermann zu jederzeit hätte umbringen können.
protestantische Gemeinschaften
Aus den Gedanken und Lehren der Reformatoren sind im Laufe der Zeit die Lutheraner, Anglikaner, die Reformierten – zu denen die Calvinisten, Zwinglianer, Presbyterianer und Kongregationisten zählen, sowie die Täufer – unter anderem die Mennoniten und Hutterer, die Baptisten, Methodisten, Adventisten und Pfingstler hervorgegangen.
Auch einige Kleinstgruppen wie die Arminiarer, Quäker, Puritaner, die Brüderbewegung und die Heiligungsbewegung, sowie die Pietisten oder die Herrnhuter Brüdergemeinde gehören dazu.
Im Laufe des Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts schlossen sich diese beginnend in Deutschland wiederum zu unterschiedlichen Unionen zusammen, die verschiedene überkonfessionelle Richtungen miteinander verbinden sollten. Hinzu kommt noch der Neuprotestantismus, der sich in der Neuzeit gebildet und verstärkt hat. Hierzu gehören die Evangelikalen, die Charismatische und die Neocharismatische Bewegung, sowie verschiedene Hauskirchenbewegungen in den einzelnen Kontinenten. Es sind die sogenannten Freikirchen, auf die ich in der Predigt zu den Anglikanern und Freikirchen noch etwas stärker eingehen möchte.
Blick auf das Buch Samuel (1 Sam 17)
Blicken wir auf die Lesung aus dem Buch Samuel, so können wir gleichsam eine Orientierungshilfe finden, um die Umstände etwas mehr in den Blick zu nehmen, welche eine Vielzahl der Reformatoren bewegt hatte, handeln zu wollen.
Sie müssen sich wohl gefühlt haben wie jener David, der sich vor dem großen Goliat zunächst gefürchtet hatte, doch dann allen Mut und alles Gottvertrauen aufgebracht hatte, um gegen ihn vorzugehen.
Und ja, die katholische Kirche hatte sich im späten Mittelalter wahrlich nicht von der besten Seite gezeigt. Immer mehr Verweltlichung, Machtgier und allein der Blick auf die Schlange des Geldes führte dazu, dass die Glaubwürdigkeit enormen Schaden erlitt und die Stimmung unter den Gläubigen anfeuerte.
Der Ablasshandel, der für den anfänglichen Augustinermönch und Professor Martin Luther sprichwörtlich zum Stein des Anstoßes geworden ist, führte immer mehr zu einer Entfremdung von der katholischen Amtskirche und im Laufe der Zeit zu neuen und eigenständigen Lehren.
Kritikpunkte waren fernerhin für ihn und andere Reformatoren:
- die Fragen rund um das Kreuzesopfer und die Realpräsenz Christi in der heiligen Messe
- die Amtsfrage des besonderen Priestertums
- das verpflichtende Zölibat des Klerus
- die Landessprache für die Feier der Gottesdienste und der Heiligen Schrift
- der Laienkelch
- und die Rechtfertigungslehre. Also die Frage danach, ob allein der Glaube Gott gegenüber gerecht macht, oder ob es noch der Werke braucht, beziehungsweise ob diese den Glauben verdeutlichen.
Darüber haben sich die Reformatoren, aber auf der anderen Seite auch katholische Geistliche und Denker wahrlich den Kopf zerbrochen und leider Gottes auch den Kopf zerschlagen. Selbst der Augsburger Religionsfriede von 1555 konnte leider noch größeres Leid in späterer Zeit nicht verhindern.
Unheimlich viel Blut floss in den Konfessionskriegen
Denn über viele Jahre, vor allem auch nach dem Tod von Martin Luther und der großen Reformatoren gab es blutige und gewaltvolle Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Christen, die sich beide entweder als siegreicher und heilsbringender David, beziehungsweise als Monster und Feind auf der anderen Seit – nämlich als Goliat – sahen und bekämpft haben.
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648, der auf unserem Land und ganz konkret in unserer Stadt und dem Umland, vor allem in der Region rund um Gerolzhofen, Kitzingen und Würzburg ausgeführt wurde, hatte unheimlich große Gräben zwischen den Gläubigen der verschiedenen Konfessionen hinterlassen. Erst der Westfälische Friede sorgte für ein Ende eines unsäglichen Blutvergießens. Doch auch nachfolgende Kriege – allen voran der Erste Weltkrieg – werden immer wieder als Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Konfessionen angeführt.
Friede bis heute das oberste Ziel
Sind wir dankbar, dass in unserer Zeit und in unserem Land der Friede zwischen den Konfessionen und Religionen gewahrt ist. Setzen wir uns ein, dass er erhalten bleibt. Streben wir – so gut es geht – nach einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit, in der weder ein Einheitsbrei der Konfessionen entsteht, noch dass jemals wieder in unseren Landen die Menschen aufgrund ihrer konfessionellen Verschiedenheiten sich kämpferisch gegenüberstehen.
Mein ehemaliger Kirchengeschichtsprofessor in Brixen in Südtirol sagte einmal über die ökumenische Bewegung sinngemäß: „Gut ist es, wenn wir verschieden sind, denn dann haben wir noch einen Grund, miteinander zu sprechen und zu diskutieren. Wichtig ist nicht, dass wir einheitlich werden müssen, sondern dass wir verschieden bleiben dürfen.“
Mag das für unser Miteinander in der Ökumene mit unseren protestantischen Glaubensgeschwistern in unserer Stadt und darüber hinaus gelten. Versuchen wir, das, was im Miteinander möglich ist zu stärken Schätzen und verstehen wir noch besser, was wir jeweils tatsächlich glauben. Immer im Wissen darum, wer der Eigentliche ist, der uns eint und zusammenführt: Jesus, der Christus.
Amen.