Das schwierige Erbe von Nachrückkandidaten
Entscheidungen zu treffen, wer die Nachfolge von jemand anders übernehmen soll, fällt oft schwer. Das erleben wir, wenn es darum geht, Nachfolgekandidatinnen oder Nachfolgekandidaten von Bürgermeistern, Abgeordneten, Kanzlern oder auch in ganz anderen Bereichen zu bestimmen. Es ist für viele alteingesessene Familien ebenfalls nicht leicht, die Nachfolge in renommierten Unternehmen, so es denn überhaupt interessierte Kinder für diese Aufgaben gibt, zu finden.
Noch schwerer fällt es, wenn das Erbe vorbelastet ist. Wenn ein Kandidat einen Scherbenhaufen hinterlassen hat, Mist gebaut hat oder die öffentliche Meinung durch sein Handeln, Tun oder Sprechen so belastet hat, dass alles, was mit dieser Aufgabe oder diesem Amt zu tun hat, stets negativ konnotiert wird.
Das Beispiel des Nachrückapostels Matthias
Vor einer ähnlich komplexen Situation stehen die Brüder, die der Apostel Petrus – der führende unter den Aposteln – zusammengerufen hat, damit diese einen Nachrückkandidaten für den abtrünnig gewordenen Judas finden, nachdem dieser ihren Herrn verraten hatte. An diesen hundertzwanzig Brüdern liegt es nun, die Nachfolge gut zu regeln und einen Nachrückkandidaten zu bestimmen. Keine leichte Aufgabe bei einem solch belasteten Vorgänger. Denn egal, was der Nachfolger auch tut, irgendwie wird immer ein Geschmäckle dabei sein.
„Ist so – wir machen nun das Beste daraus.“ – ein kluger Petrus.
Petrus, der Chef, versucht es mit einem geistlichen Einstieg. Er begibt sich auf eine Psalminterpretation, indem er auf den Psalm 109 rekurriert, in dem es um einen zu Unrecht Angeklagten und Verurteilten geht, dessen Bestimmung der Verrat ist.
Petrus deutet diesen Psalm auf Judas hin – einen aus dem inner-circle, der beim Herrn ein und ausgegangen ist und der ihn schlussendlich verraten hat. Er hat auf allen Ebenen versagt. Vor allem aber ist es ihm nicht gelungen, seinem eigenen Anspruch zu entsprechen und seinem Herrn, Meister und Gott, treu zu sein, für den er eigentlich ganz da sein wollte.
Es fasziniert an Petrus in dieser Stelle der Apostelgeschichte, dass dieser besonnen vorgeht. Es geht ihm nicht um eine Generalabrechnung im Nachhinein, sondern um einen lösungsorientierten Ansatz. Er weiß, dass die Zahl 12 eine starke symbolische Bedeutung für den Jüngerkreis Jesu hat, da die Zwölf für die zwölf Stämme des Volkes Israel steht. Jeder der Zwölf ist dazu berufen, einen Stamm zu repräsentieren und jeder der Zwölf als Adressat für einen Stamm des ganzen Volkes Israel soll die Heilsbotschaft Jesu vernehmen und dann vor allem auch leben.
Die Wahl beginnt
Deshalb versammelt sich in den Tagen nach der Himmelfahrt Jesu und der Geistsendung an Pfingsten der inner circle der Brüder, um die Nachfolge des Judas zu regeln.
Klar ist für Petrus in seiner Rede, dass der Nachrückkandidat von den Anfängen an dabei gewesen sein muss, nämlich von der Taufe Jesu durch Johannes an. Auch muss er bis zum Schluss, nämlich bis zur Himmelfahrt Jesu, dabeigeblieben sein und darf sich nicht aus dem Staub gemacht haben. Ziel des Nachfolgekandidaten ist, dass er als ebenbürdiger Auferstehungszeuge die frohe Botschaft in der Welt verkündet und Christus bezeugt.
Ohne Gebet keine gescheiten Kandidaten!
Mich fasziniert bei der Wahl des Matthias, dass sich die Versammelten zunächst zum Gebet versammeln. Es muss ein charismatisches Gebet gewesen sein, in dem sie von Herzen alles ausgesprochen haben, was sie in ihrer Verzweiflung erlebt haben, wo in ihnen die Hoffnung entschwunden war, aber auch, wie sie neue Hoffnung durch die Auferstehung Jesu gefunden haben. Sie werden sich Jesus besonders nahe gewusst haben und haben ihm die Nachfolge anvertraut, im Wissen darum, dass Er der Eigentliche ist, der für seine Sache beruft. Ich meine, dass wir das gerade auch in unserer Zeit brauchen, wenn es um Nachfolgeregelungen geht. „Das Gebet versetzt Berge“, heißt es immer wieder eindrücklich und aus eigener Erfahrung kann ich dem nur zustimmen.
Wir brauchen das Gebet, wenn es darum geht, gute, fähige und im Glauben stehende Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl des neuen gemeinsamen Pfarrgemeinderates zu wählen.
Es braucht das Gebet, wenn Pfarrerwechsel in unseren Gemeinden anstehen.
Wir brauchen das Gebet, wenn Bischöfe neu ernannt und erbeten werden.
Es braucht das Gebet, wo Menschen in den Dienst für Gott und die Welt berufen werden.
Entscheidend bei all dem ist, dass erst das Gebet folgt und dann erst die Wahl, wie wir auch im Johannesevangelium im 15. Kapitel lesen können: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ (Joh 15,6)
Das Los entscheidet – geistgeführt.
Und von diesem Gebet beflügelt, fiel das Los der Brüder auf Matthias, der schließlich dem Kreis der Elf hinzugefügt wird. Auf der anderen Seite stand Josef, genannt Barsabbas, zur Wahl, der als Gerechter bezeichnet wurde. Dieser war wohl mit Jesus verwandt und hätte die blutsmäßige Nähe zu Jesus als Kriterium erfüllt. Doch mit der Wahl des Matthias fällt das Los auf einen, der aus der gleichen Geburtsstadt – nämlich Betlehem – kommt. Es ist einer, der aufgrund wohlhabender Eltern in der damaligen Zeit eine gute Erziehung und Bildung genoss. Wohl gerade deshalb besaß er für die Verkündigung eine besondere Befähigung. Er war einer, der schon früh zu denen zählt, die Jesus unauffällig folgen. Einer, der seine Brüder wohl auch durch eine tiefe Frömmigkeit überzeugt hat.
Was an Matthias fernerhin überzeugt, ist, dass er nachfolgend nicht mehr groß in Erscheinung tritt. Und das, auch wenn zahlreiche Legenden sich um ihn ragen. So etwa auch die Frage danach, wie sein Leichnam nach Trier gekommen ist.
Matthias tut, was er tun muss.
Matthias fällt nicht groß auf. Er tut bescheiden das, wozu er beauftragt ist. Nämlich das Evangelium Jesu zu den Menschen auf der Suche und zu den Heiden zu bringen.
Vor allem war er wohl im Gebiet von Äthiopien unterwegs. Er hat Menschen im Glauben begeistert, Wunder vollbracht und den Menschen Jesus bekanntgemacht. Er ist ein stiller Zeuge, der nicht das große Scheinwerferlicht der Medien braucht,. Einer, der einfach tut, was er tun muss. Dabei lässt er sich weder vom Ruf seines Vorgängers beeindrucken, noch wird er zum Superstar, wie es später der weitere Nachrücker Paulus wird, der ebenfalls, wenn auch auf andere Weise den Aposteln zugezählt wird.
Beten wir um Menschen wie Matthias, die tun, wozu sie berufen sind. Und die das in Treue, mit Überzeugung und Glaubwürdigkeit und dem rechten Maß der Bescheidenheit tun. Amen.