Die Ursprungsgemeinde mit ihren Herausforderungen
Verschlossen. Ja gar eingeschlossen sind sie, die Christen der Anfänge: Die Jünger, versammelt mit Maria, der Mutter des Herrn, im Abendmahlssaal. Dort, wo alles begonnen hatte, als Jesus mit ihnen bei Tisch saß und diese seltsamen Worte gesprochen hatte. Er sprach doch bei seinen Jüngern davon, dass sie ihn nicht mehr von Angesicht zu Angesicht schauen würden. Ja, dass Leid, Not und Verfolgung nicht nur auf ihn zukommen würden, sondern auch auf sie und auf alle, die ihm nachgefolgt sind. Und er hatte doch auch angedeutet, dass der Gestank des Verrats in dieser Runde wahrzunehmen sei.
So viel ist seitdem passiert. Sie haben eine Achterbahn der Gefühle hinter sich. Verzweiflung, Ratlosigkeit und sogar Hoffnungslosigkeit in der Nacht des Zweifels machten sich breit. So viel Trauer und Angst wurde gespürt, als sie Jesus mit dem schweren Kreuz sahen und noch mehr, als sich die Nägel durch seine Hände und Füße gebohrt hatten und die Lanze den Leichnam durchstach.
Da war aber auch eine solche Freude zu spüren – kaum in Worte zu fassen – sodass es ihnen gar die Sprache verschlagen hatte, als die Frauen von dem Wunder sprachen, dass das Grab leer sei. Und ähnlich erging es ihnen bei den verschiedenen konkreten Begegnungen mit dem, der doch eigentlich tot im Grab hätte liegen müssen. So viele Freudentränen der unglaublichen Begegnung sind in diesen Momenten geflossen. Und sie hatten gehofft, dass er nun für immer bei ihnen bleiben würde. Doch auch das kam anders: Er hat ihnen angekündigt, zum Vater heimgehen zu müssen – in eine andere Welt, wohin sie ihm einst nachfolgen würden. Und er hat ihnen dabei zugleich aufgetragen, hinauszugehen, die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen und das Unfassbare zu verkünden: nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern das Leben.
Nun aber hat sie doch wieder die Furcht gepackt. Sie haben sich zurückgezogen, eingeschlossen und wohl auch innerlich verschlossen. Und nun? Was wohl passieren würde? Wie sie da nur herauskommen sollten?

Kennen nicht auch wir in unseren Tagen ähnliche Probleme?
Kommt uns nicht die Situation der Christen der Anfänge auch in unseren Gemeinden bekannt vor? Stehen nicht auch wir vor ähnlichen Herausforderungen wie die Versammelten im Abendmahlssaal?
Dazu möchte ich mich heute mit Ihnen und Euch auf eine doppelte Reise begeben. Zum Einen vom Startpunkt unserer Zeit wie in einer Zeitreise zurück, um unserer Geschichte auf den Grund zu gehen. Zum Anderen wie mit einem Katapult in die Zukunft befördert. Also machen wir uns auf den Weg.
Die berechtigte Kritik von außen als Maßstab für authentisches Handeln
„Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne. Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen“ – so sprach einst der Religionskritiker Friedrich Nietzsche in seiner Zeit. Und ich meine er trifft in seinem Statement tatsächlich den Nagel mit dem Kopf. Selbstkritisch müssen wir uns als Gemeinde und Kirche unseres Landes fragen, ob bei unseren Versammlungen und Gottesdiensten jene Freude zu spüren ist, welche die Jünger erfüllt hatte, als sie vom Auferstandenen erfahren haben. Jene Begeisterung, die ihnen der Auferstandene im Herzen hat spüren lassen. Denn sie hat sie hinausgeführt, um den Menschen gute Nachricht zu bringen. Ja, dass sie vom kleinen Wüstenland Israel in alle Richtungen aufgebrochen sind, sodass sich die Botschaft des Glaubens an Jesus, dem Christus, in alle Welt verbreitet hat. Warum aber scheint uns die Freude am Glauben immer mehr abhanden zu kommen? Warum sind wir heute so oft verschlossen wie die ängstlichen Jünger im Abendmahlssaal?
Fragen. Kritik. Probleme. Wie weiter?
In letzter Zeit spüre ich bei zentralen und offiziellen Veranstaltungen unserer Kirche immer weniger, dass echte Freude am Glauben bei denen gespürt werden kann, die sich doch dereinst von der Freude haben anstecken und leiten lassen und die sich einst in den Dienst des Herrn gestellt haben. „Wäre die Welt ohne die Kirche sogar besser dran? Braucht es die Kirche und in ihr die Priester als Nachfolger der Apostel überhaupt noch?“ – debattieren sie in fast therapeutischen Runden und bei mit viel Kirchensteuer finanzierten Sitzungen in Tagungshotels.
„Warum bist du noch dabei?“ und „Wie kannst du noch deinen Dienst tun?“ – lauten mittlerweile schon Fragen bei Einstiegsrunden derer, die gerade mit der Ausbildung begonnen haben. Stets muss ich mich rechtfertigen, dass ich meinen Glauben gerne lebe und stoße auf zahlreiches Unverständnis, das bei meinem Gegenüber aufkommt. Manchmal habe ich gar den Eindruck, man gönnt es dem Anderen nicht mal mehr, wenn einer im Glauben erfüllt ist. Wenn man die Gemeinschaft der Glaubenden schätzt und gerne katholisch ist. Jedenfalls deute ich die miesepetrigen Gesichter so, die mich anschauen.
Es muss anders gehen!
„Es ist alles schlimm. Wir gehen dem Untergang entgegen“ – sagen sie mir in apokalyptischer Gesinnung.
Zeit, dass sich was dreht.
Herbert Grönemeyer
„Zeit, dass sich was dreht!“ – so denke ich und knüpfe damit an eine Zeile an, die Herbert Grönemeyer in seinem Song zur Fußball-WM 2006 sang.
Denn mir ist bewusst, dass es nicht immer so war. In meiner Kindheit kann ich mich an andere Zeiten erinnern. Und vielleicht ja auch Sie und Du in der eigenen Gemeinde. In meiner Heimatgemeinde Baunach mit damals gut 2000 katholischen Christen gab es 2 Sonntagsmessen, die bis Anfang der 2000er Jahre voll waren.
Mit meiner Oma war ich als kleines Kind ganz hinten gestanden und habe durch die kleinen Lücken der vielen Menschen vor mir geschaut. Dort gesehen habe ich unseren Pfarrer mit einer großen Ministrantenschar und den, um den sie sich versammelt haben: Jesus im gewandelten Brot der Eucharistie. Nach den Messen war man gerne auf dem Kirchplatz gestanden. Gesprochen hat man miteinander über Freude und Leid, über Trauer und Hoffnung und man hat die Erfahrungen miteinander geteilt. Die Verbände und Gruppen der Pfarrei hatten noch regen Zulauf. Es gab wenig Probleme, um etwa Feste, Aktionen und Feierlichkeiten auszurichten. Das Zusammenkommen wurde verbunden mit Auftanken von Leib und Seele und man hat sich gefreut, wenn man sich begegnen konnte. Prozessionen – etwa die große Fronleichnamsprozession – waren Ereignisse im Jahr, auf die man sich tatsächlich gefreut hat. Den Haupt- und Ehrenamtlichen war – zumindest in vielen Fällen – anzumerken, dass der Glaube ihr Fundament war und dass sie auch Freude daran hatten.
Daher frage ich mich immer wieder, warum das heute in vielen Fällen anders geworden ist. Und ich frage mich: Weshalb befinden sich so viele in der Achterbahn der Gefühle und zumeist an dessen Tiefpunkt? Wie sind nur viele unserer Orte nicht mehr Orte des Auftankens geworden, sondern Orte, an denen nur noch Frust und Wut abgeladen werden, aber kaum einer mehr wirklich auftankt?
Der Tiefpunkt als Wendepunkt
Mag sein, dass wir in unserer Zeit an einen ähnlichen Punkt gelangen müssen, an dem sich ebenso die Versammelten des Pfingsttages befunden haben. An einen Tiefpunkt, der uns auf den Boden der Tatsachen stellen will.
Doch wir wissen auch, wie sich die Versammelten haben verändern lassen. Nämlich durch den Geist, der ihnen neuen Mut gegeben hat. Er, der sie mächtig durchgewirbelt und aufgewirbelt hat, auf dass sie aus ihrer Starrheit befreit wurden und ihre Herzkammern erneut für die Sache des Herrn geöffnet haben. Dort hinein, in ihre Mitte, konnte auch Jesus kommen, um ihnen den Frieden zu wünschen und sie auszusenden, um die Sünden zu vergeben und die Frohe Botschaft zu verbreiten.
Auch ich wünsche unseren Gemeinden jenen Frieden, der in die Herzen der Jünger gelangt ist. Auf dass Zwist und Streit all der unterschiedlichen Vorstellungen, Ansätze und Lager weichen mögen. Auf dass man sich versammelt um den Garant von Einheit und Frieden. Und wenn wir das geschafft haben, dürfen wir den Geist spüren, der uns antreibt, eine geisterfüllte Gemeinde zu werden. Eine Gemeinde, die – wie es Paulus in der Lesung an die Gemeinde in Korinth formuliert hat -, in Christus geeint ist kraft der Taufe und der Bestärkung durch den Geist. Eine Gemeinde, die auf die Gnadengaben und Charismen der Gläubigen schaut und im Miteinander überlegt, wie sie eingesetzt, umgesetzt und gestärkt werden können. Denn durch die Taufe sind wir von Christus angenommen und gesandt, um die Frohe Botschaft auch in unserer Zeit und Gemeinde lebendig werden zu lassen.
Mein Bild von Gemeinde
Daher möchte ich ausgehend vom paulinischen Gemeindebild abschließen, wie ich mir Gemeinde vorstellen kann.
Von Paulus und ebenso von den Versammelten am Pfingsttag lernen wird, dass aller Grund die Gemeinschaft im Glauben ist. Daher müssen wir wieder mehr schätzen, dass das Zusammenkommen wertvoll ist. Dass es sich lohnt, im Miteinander verbunden zu sein. Nicht nur voneinander zu wissen, sondern sich auch zu erleben. Natürlich ist mir dabei bewusst, dass Menschen ganz unterschiedlich sind und dass es dort, wo Menschen zusammenkommen, auch menschelt. Doch, wenn nicht wir Christen es schaffen eine gewisse Einmütigkeit zu leben, wer soll es denn dann schaffen? Gemeinschaft ist also immer unsere Grundlage und stets unsere Perspektive!
Diese Gemeinde darf unterschiedlich, aber doch verbunden und in Beziehung zueinander sein. Daher möchte ich auf drei Gruppen in der Gemeinde näher blicken.
Die betende Gemeinde
Es braucht eine betende Gemeinde, die sich regelmäßig, im besten Fall täglich versammelt. Dazu zähle ich vor allem jene, die sich Sonntag für Sonntag und manche gar an den Werktagen versammeln, um zu beten. Wir brauchen treue Beterinnen und Beter, die in Verbindung mit den Priestern und Diakonen, die dies stellvertretend für die Gemeinde versprochen haben, als Säulen im Gebet die Anliegen der Gemeinde vor den Herrn bringen. Daher ist auch die Heilige Messe immer unsere Quelle und unser Höhepunkt jedes gemeindlichen Lebens. Von Christus, der sich darin uns schenkt, geht alle Stärkung für uns selbst und für die Gemeinde aus. Vielfältige Formen des Gebetes, seien es Andachten, das Rosenkranzgebet, das Gebet vor dem Allerheiligsten und andere Gottesdienstformen wollen daran anknüpfen und das Gebet vertiefen.
Die missionarische Gemeinde
Des Weiteren braucht es eine missionarische Gemeinde, die auf die Menschen zugeht. Auf die, die da sind ebenso wie auf die, die nicht mehr oder überhaupt noch nicht da sind. Es sind jene, die Menschen herzlich begrüßen, weil sie diese zum ersten Mal in der Gemeinde entdeckt haben. Es sind auch die, die einmal herzlich in ihrer Nachbarschaft, Umgebung und Familie einladen, doch einmal zur Gemeinschaft dazuzukommen und die treu, unaufdringlich und herzlich für den Glauben werben. Zu diesem Teil der Gemeinde zählen alle, die bei Katechesen, Festen und anderen Anlässen einen guten Draht zu denen knüpfen, die aus den unterschiedlichsten Gründen am Gemeindeleben anknüpfen.
Die karitative Gemeinde
Und zuletzt blicke ich auf die karitative Gemeinde. Sie nimmt sich der Sorgen, Nöte, Probleme und Anliegen der Menschen in der Gemeinde an. Wir Christen werden nicht daran gemessen, was wir uns selber tun, sondern was wir den Anderen tun. Immer ist uns dabei die Fußwaschung vor Augen, die als Symbol des Dienstes unser Handeln bestimmen soll. Nun ist es aber nicht leicht, mitzubekommen, was der Andere gerade braucht und wie es ihm oder ihr geht. Umso wichtiger sind Nachbarschaftshilfen, Brückenbauer zu den vielfältigen sozialen Einrichtungen im Gebiet unserer Gemeinde und all jene, die ganz selbstverständlich für andere da sind.
Und vor allem braucht es den Geist, den man spürt.
Mögen wir also neu und erneut eine vom Geist erfüllte lebendige Gemeinde werden und bleiben. Möge uns der Heilige Geist in unserer Zeit leiten, auf dass auch wir aufbrechen, um Gottes Geist zu den Menschen unserer Tage zu bringen.
Lasst uns an diesem Festtag der Begeisterung daher einmal nachdenken, wofür ich selbst brenne, was ich gerne mache und wie ich mich bereits in unsere Gemeinde einbringe oder noch einbringen kann. Amen.
Hallo Herr Ziegler, danke für die Veröffentlichung dieser Predigt. Ich bin ehemalige Lehrerin (Englisch, kath. Religion) und Schulseelsorgerin und jetzt im Ruhestand aktiv in der Gemeinde auch für Wortgottesfeiern eingeteilt. Ich suchte bereits nach einer Idee für Pfingsten, weil ich kurz davor noch in Taizé bin und dann wird die Zeit knapp… ihre Predigt hilft mir sehr. Vielen Dank!
Es freut mich sehr, wenn Sie diese Predigt für Ihre eigenen Überlegungen inspiriert hat. Danke für Ihre Rückmeldung und ihr Zeugnis!