Halbvolle und halbleere Zukunftshoffnungen
Während eines Stress-Management-Seminars durchschritt einmal eine Psychologin den Zuschauerraum. Als sie ein Wasserglas hochhielt, erwarteten die Zuhörer die typische Frage: „Ist dieses Glas halb leer oder halb voll?“ Sie aber fragte mit einem Lächeln auf dem Gesicht: „Wie schwer ist dieses Glas?“
Die Antworten pendelten sich zwischen 200g bis 500g ein. Die Psychologin antwortete: „Das absolute Gewicht spielt eigentlich keine Rolle. Es hängt vielmehr davon ab, wie lange ich es halten muss. Halte ich es für eine Minute, ist es kein Problem. Wenn ich es für eine Stunde halten muss, werde ich einen leichten Schmerz im Arm verspüren. Muss ich es für einen ganzen Tag halten, wäre mein Arm taub und paralysiert. Das Gewicht des Glases ändert sich zwar nicht, aber umso länger ich es halte, desto schwerer wird es.“
Sie fuhr fort: „Stress und Sorgen im Leben sind wie dieses Glas mit Wasser. Wenn ich nur eine kurze Zeit über sie nachdenke, hinterlassen sie keine Spuren. Denk ich etwas länger nach, fangen sie an mich zu verletzen. Wenn ich über die Sorgen den ganzen Tag nachdenke, werde ich irgendwann nicht mehr in der Lage sein, irgendetwas zu tun.“ Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass es gilt den Stress und die Sorgen auch mal Beiseite zu schieben. Auf keinen Fall sollten sie in den Abend und in die Nacht hineingetragen werden. Da sollte ich im Vorfeld daran denken, das Glas einmal abzusetzen.
Von der Angst geplagte Umfragen
Liebe Schwestern und Brüder in Christus, Sorgen können uns die Zukunft vernebeln und wie ein Senkblei heruntersinken lassen. Vor lauter Schwere des Lebens senken wir dann unser Haupt und es entsteht in uns Angst, die uns lähmt.
In einer repräsentativen Umfrage von Statista aus dem Jahr 2019 meinen Menschen unseres Landes zum Thema „Zukunft und Zukunftserwartungen“ für die nächsten zehn Jahre: Die Arm-Reich-Schere wird immer mehr auseinandergehen. Die Gesellschaft wird merkbar gespaltener sein. Dies führt zu mehr Egoismus unter uns Menschen. Ältere wird die Gesellschaft nicht mehr verstehen. Die sozialen Kontakte nehmen in präsentischer Form immer mehr ab und die soziale Isolation wird dabei immer stärker ansteigen. Und zuletzt: Da Geld einen immer stärkeren Platz im Leben einnimmt, wird eine große Anzahl von Menschen Probleme haben, mithalten zu können. Diese Umfrage aus dem Jahr 2019 hat sich in unseren Tagen nochmals zugespitzt. Zeichneten vor gut 3 Jahren zwischen 60 und 80 Prozent der Befragten dieses apokalyptisch-negative Zukunftsbild, so sind die Umfragewerte in unseren Tagen noch deutlich angestiegen.
Kurzum: Die Zukunft wird von einer deutlichen Mehrzahl aus den verschiedensten Altersgruppen als düster betrachtet, weshalb auch große Angst herrscht, sich ihr zu stellen und ihr zu begegnen.
Zukunftshoffnungen der Jugend
In meinen 10. Klassen an den Rathenau-Schulen habe ich ein ähnliches Meinungsbild erstellt. Die Ergebnisse fallen auch hier bei uns nicht anders aus. Sind die Schülerinnen und Schüler zwar optimistisch, dass sie eine Arbeitsstelle finden können, so sehen sie die Zukunft ebenfalls düster. Viele haben Angst, dass ihre Familie auseinanderbricht. Viele haben Angst davor, was auf der Welt passiert und wie es bei all den Krisen weitergehen soll. Einige haben sogar solch starke Angst, dass sie nicht planen eine Familie zu gründen, weil sie überzeugt sind, dass die kommenden Generationen noch düstere Perspektiven erwarten.
Solche Aussagen gerade von jungen Menschen alarmieren mich. Gilt doch die Jugend seit alters her als jener Motor der Gesellschaft, der immer Spaß an der Zukunft hat. Am Planen, Ausprobieren, im Spagat zwischen Gelingen und Scheitern. Studien belegten bisher immer, dass die Jugend mit Freude in die Zukunft blickt. Endlich raus aus dem Hotel Mama, endlich einmal mit dem ersten eigenen Auto in die Ferne schweifen und die Freiheit genießen. Die große Liebe und den erhofften Traumjob finden und dann möglichst lange gesund, glücklich und zufrieden sein. Das war das Ergebnis meiner Generation aus den 90er Jahren – 30 Jahre her. Warum also ist der Blick in die Zukunft heute so getrübt?
Fehlender Transzendenzbezug als mögliche Ursache?
Ich meine, dass es mit dem zusammenhängt, was ich als Halt erlebe. Es sind meine Ziele und meine Hoffnungen, ja auch mein Transzendenzbezug. Und genau jener Letzte geht in unseren Tagen stark zurück.
Und genau hier scheint eine gewisse Logik durch: Wenn ich nur an das Hier und Heute glauben kann, dann versuche ich mit all meinen Kräften alles dafür zu tun, dass ich in meinem Leben alles erreichen kann, was mir Spaß und Freude bereitet. Doch das ist meistens nicht langlebig, denn diese Bereiche sind so flüchtig. Das Abenteuer vergeht einfach zu schnell und gleich darauf folgt die Frage: „Was nun tun?“
Zukunftshoffnungen Erwachsener
Auch Menschen im Erwachsenenalter rackern sich ab, dass sie möglichst viel Glück und Erfüllung erleben können – ein Hopping von Urlaub, Freizeitvergnügen und ständigen Sprint im Leben bis irgendwann der Hammer fällt und der Mensch umfällt. Da ist es dann aus, vorbei, fertig. Denn danach kommt ja nichts mehr – so mittlerweile die Mehrheitsmeinung in vielen westlichen Staaten.
Das Leben ist also vergänglich und schneller dahin als gedacht. Und setzt das Leben mit Krankheit, Krisen und Katastrophen noch zu, dann scheint klar, dass das Wasser des Glases schnell aus ist und die Perspektive trüb.
Zukunftshoffnungen des Alters
Diese Woche war ich wieder zu Krankenkommunionen in unserer Stadt unterwegs. Im Kalender waren zwischen 14 und 18 Uhr vier Besuche betagter und hochbetagter Menschen unserer Gemeinden. Überall wurde ich erwartet. Und genau diese Haltung habe ich bei den Senioren auch in anderen Bereichen des Lebens wieder neu erfahren dürfen. Dabei möchte ich weder die alte Generation gegen die Junge ausspielen noch diese oder jene glorifizieren.
Mich hat dennoch fasziniert, wie eine Frau mit einigen 90 Jahren von ihren Glaubenshoffnungen und Zukunftserwartungen gesprochen hat. Und da ist es nicht so, dass Not und Probleme im Leben ausgespart gewesen wären. Im Gegenteil. Die Not gehörte schon im frühen Leben dazu und auch die Schicksalsschläge mit dem Verlust des Mannes schon sehr früh und ebenfalls der viel zu frühe Abschied vom Sohn mussten überstanden werden. Und genau hierin zeigt sich für mich der springende Punkt. Denn ihr Glaube war und ist ihr Halt, Richtschnur und Perspektive für ihr Leben – und das auch über das derzeit irdische Leben hinaus. Ein wahres Zeugnis der Hoffnung auch für die Zukunft.
Zukunftshoffnungen in den Texten des Sonntags
Nun haben wir heute am vorletzten Sonntag im Jahreskreis Texte gehört, die gut in unsere Überlegungen zu Zukunftsperspektiven und Zukunftshoffnungen passen.
Der Prophet Maleachi ist getrübt wegen der Erfahrungen, die das Volk Israel in Babylonischer Gefangenschaft machen musste. Er lebt im Spannungsfeld und Spagat zwischen Trostlosigkeit und starker Erwartung der Hoffnung in künftigen Tagen. Er ist zerrissen zwischen all den dunklen Momenten und zugleich der Hoffnung, die sich ihm als Sonne der Gerechtigkeit zeigt.
Auch Paulus muss seiner Gemeinde in Thessalonich Mut machen und ihre Hoffnung stärken. Er ermahnt sie, dass ihr Glas nicht leer ist, sondern dass sie ihrer Arbeit nachgehen sollen, weil sie eine glänzende Zukunft bei Gott erwartet.
Und Jesus? Er scheint am Beginn der heutigen Passage aus dem Lukasevangelium eher ein Schwarzmaler zu sein, wenn er von der Zerstörung des Tempels spricht und Drohkulissen malt, welche vom Untergang der Welt, von Kriegen, Krisen, Krankheiten und zahlreichen Situationen der Not sprechen. Schließlich gipfelt alles in der Zerstörung des Tempels – auch des eigenen heiligen Tempels, nämlich des Leibes, der im Tod vergeht.
Doch dann der springende Punkt: Dabei bleibt es nicht. Der Leib wird zum Leben erstehen und die Auferstehung schauen.
Welch größere Hoffnungsperspektive könnte es geben?
Glaube im Spannungsfeld von Hoffnungsfülle und Hoffnungslosigkeit
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, ja wir sind hin und her gerissen in dieser Welt – zwischen Hoffnungsfreude und Trostlosigkeit. Zwischen Momenten, in denen wir jubeln und die ganze Welt umarmen könnten bis hin zu den Momenten, in denen wir am Boden zerstört sind.
Auch der Glaube ist hin- und hergerissen in dieser Welt. Während in unseren westlichen Nationen die Zahlen der Gläubigen rasant zurückgehen – auch das werden wir am heutigen Zählsonntag wieder merken – wachsen die Zahlen in vielen Staaten mit vielen Problemen rasant. Manchmal kann man sich hier zurecht fragen, ob Reichtum ein Segen oder ein Fluch ist, weil er das Herz binden und fesseln kann. Und wie berührend sind die Begegnungen mit Menschen, die täglich um ihr Überleben kämpfen, aber eine natürliche Freude ausstrahlen? Menschen, die zutiefst gläubig sind.
Ja, auch die Perspektive von institutionalisiertem Glauben mag bei uns zurückgehen. Das zeigen auch wieder die Zahlen, die die niederländischen Bischöfe bei ihrem Ad-Limina-Besuch in Rom veröffentlicht haben. Nur noch gut 21 Prozent in den Niederlanden sind als katholisch gemeldet – weit 40 Prozent weniger als vor 30-40 Jahren. Und dabei sind sie noch weniger stark zurückgegangen als in den protestantischen Kirchen der Niederlande.
Schnell versuchen wir in solchen Momenten zu schnellen Lösungsstrategien kommen zu wollen. Alles soll sich verändern, dann wird schon alles besser werden. Diesen Eindruck habe ich auch vom aktuellen synodalen Weg in unserem Land und vom synodalen Prozess auf Weltkirchenebene.
Kirche wird von vielen Teilnehmenden als düster erlebt. Ihre Zukunft gilt als unsicher und apokalyptische Reden beschwören mit ganzer Kraft den Niedergang. „Kirche in ihrer aktuellen Verfasstheit hat keinen Bestand.“ – so höre ich immer wieder.
Glaube mit einer tiefen Hoffnung auf Zukunft
Ich bin da anderer Überzeugung. Gerne schaue ich auf die große Hoffnung, die uns Jesus zuspricht. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ im Wortlaut des 28. Kapitels bei Matthäus. Und heute bei Lukas im Evangelium: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“
Das anfangs genannte Glas ist für mich daher auch im Glauben nicht leer oder halbleer und auch nicht schwer. Glaube ist für mich Zukunftsperspektive, Hoffnung und Erfüllung all dessen, was ich bereits auf Erden schemenhaft erleben kann. Amen.