1. „Sinnsuche inmitten von Ungewissheit – junge Menschen verstehen und begleiten“
Die Jünger in ihrem kleinen Fischerboot
„Ach du grüne Neune“, so wird sich die kleine Schar der Jünger auf dem Fischerboot denken, als sie am See von Tiberias unterwegs sind. Denn nicht nur, dass sich scheinbar das Glück von ihnen abgewandt hatte, wie wir im Sprichwort sagen. Vielmehr hat auch noch zugleich das Pech zugeschlagen. Die Anfangsbegeisterung derer, die sich zum Fischen aufgemacht hatten, war schnell der Resignation gewichen, als wirklich nichts in die Netze gegangen ist. Eine verschwendete Nacht – so mögen sie sich denken.
Auf der anderen Seite können sie in dieser Zeit wohl auch gar nicht recht schlafen. In letzter Zeist ist da einfach zu viel passiert. Jesus war getötet worden, hing am Kreuz und wurde ins Grab gelegt. Doch dann sprachen die Frauen vom leeren Grab und ihnen selbst ist Jesus erschienen. Sie verstehen wie Thomas teils nicht recht, ob sie das wirklich glauben können und fragen überhaupt nach dem Sinn des Lebens. Sie wollen wissen, warum Menschen grausam miteinander umgehen. Und sie sind verloren in ihrem eigenen Versagen, da sie nicht zu Jesus gestanden hatten, als er sie so dringend gebraucht hätte.
Durchwachte Nächte mit zahlreichen Fragen
Die Fragen nach dem „Warum all das?“, nach dem „Was soll das?“ und nach dem „Wo ist in all dem nur Sinn zu finden oder ist das Leben nicht einfach sinnlos?“ – sie kommen in ihnen hoch und ziehen sie runter. Selbst die Fische scheinen sich zu denken: „Zu solch einem Trauerhaufen geselle ich mich nicht.“
In dieser Woche für das Leben, welche wir dieser Tage in der katholischen ebenso wie in der evangelischen Kirche begehen, fragen wir nach der Generation Z, der Generation Zukunft. Wir nehmen wahr, dass die Generation von heute, welche mit der Generation Z bezeichnen, oft zwischen Angst und Perspektive groß wird. Deswegen steht das auch als Thema für diese Woche breit auf den Plakaten.
Heute als Thema befassen wir uns mit dem Thema: „Sinnsuche inmitten von Ungewissheit – junge Menschen verstehen und begleiten.“ Meine Gedanken habe ich angereichert mit einem Text von Sr. Christine Klimann von der Kongregation der Helferinnen. Zu diesem Thema hat sie einen Artikel mit eben jenem Titel „Sinnsuche inmitten von Ungewissheit – junge Menschen verstehen und begleiten“ verfasst. Sie ist im Zentrum der Berufungspastoral in St. Georgen in Frankfurt tätig und erlebt, wie junge Menschen zwischen Angst und Perspektive hin und hergerissen sind. Sie schreibt:
Mitten in der Pandemie kündig[t]en Menschen in Massen freiwillig ihre Jobs. Im April des Jahres 2021 haben in den USA vier Millionen Menschen ihre Arbeit verlassen; in Deutschland hat laut einer Studie von Forsa im Januar 2022 seit der Pandemie jeder Zehnte seinen Job gewechselt. Besonders beeindruckend: Jeder vierte Stellenwechsler hat gekündigt, ohne einen neuen Job in Aussicht zu haben. Es sind die Jüngeren, die diesen Trend befeuern: In der Generation Z war im Januar 2022 jeder Zweite bereit, seinen Job zu wechseln.
Sr. Christine Klimann
Der jugendliche Drang nach dem „Ich muss hier raus.“
Es scheint wie bei den Jüngern zu sein. Sie brechen zum Fischen auf, ohne zu wissen, ob sie einen Fang einholen werden. Nur ist ihnen klar, dass sie raus müssen. Auch junge Erwachsene meiner Generation handeln immer wieder so. Sie wollen raus aus dem Bekannten und verlassen manchmal vorschnell Ausbildung, Studium, Beziehung und Familie, ja den sicheren Hafen. Sr. Christine meint dazu:
Finanzielle Überlegungen scheinen […] eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Der größte Motor für diese Bewegung ist die Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, mit dem Führungsverhalten und der Work-Life-Balance und – besonders bei jüngeren Menschen – der Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun. `Welchen Sinn hat es, dass ich mit meiner Arbeit ein reiches Unternehmen noch reicher mache? ` – fragt sich Marie, eine junge PR-Beraterin, bevor sie sich eine Auszeit nimmt, um sich umzuorientieren. Was sie danach machen wird? Das weiß sie noch nicht. Unzufriedenheit mit der Arbeit oder dem Studium ist kein neues Phänomen. Neu ist, dass junge Menschen den Mut haben, Konsequenzen zu ziehen.
Sr. Christine Klimann
Eine neue Generation, die sich wie die Apostel oder Bettelorden frei machen will?
Mir persönlich scheint in der Generation Z grundsätzlich eine gewisse Nähe zur Zeit der Apostel und ebenso zur Zeit der Entstehung der Bettelorden vorhanden zu sein. Denn in beiden Zeiten war es den Menschen wichtiger, sich für eine richtige Sache zu entscheiden, für die es sich zu kämpfen lohnte, weil sie einen Sinn in ihrem Tun sahen, als einfach weiterzumachen, wenn auch verlockende Angebote auf sie warteten. Die Jünger verlassen ihre sichere Umgebung, ihre Elternhäuser und Familien und ziehen mit Jesus weiter. Oder auch der heilige Franziskus, der seine sichere Zukunft als Kaufmann in großem Wohlstand ablegt und frei wird, um als Bettel- und Ordensmann nach dem Sinn des Lebens zu suchen und gerade darin Gott zu finden. Dass eine ähnliche Sehnsucht nach Erfüllung und Sinn in unserer Zeit stärker geworden ist, schreibt Sr. Christine weiter:
Muss man mit 30 wissen, was man will? – fragte die Süddeutsche Zeitung im Februar 2022 und erzählte Geschichten von der Generation, die im übervollen Supermarkt verhungert. Erzählt wird von Thomas, der mit 35 wieder zu seinen Eltern zieht, und von Valentin, der sich von seinem Traum, als Künstler sein Brot zu verdienen, desillusioniert verabschiedet hat. Von Antje, die Anästhesistin ist und vielleicht lieber Tischlerin wäre, und von Somaya, die sich immer wieder fragen lassen muss, warum sie denn schon wieder abgebrochen hat. Junge Erwachsene, die in einer Dauerschleife hängen bleiben, die ihre Promotion nicht zu Ende kriegen, die vage darauf warten, dass das Leben beginnt. Unter den Jüngeren ergibt sich das gleiche Bild: Da sind diejenigen, die ihr Studium dreimal wechseln, die ein Praktikum an das andere reihen, die aus purer Verlegenheit mit einer Ausbildung beginnen, die sie niemals beenden werden. Diese jungen Menschen haben so viele Möglichkeiten, dass sie nicht wissen, wie und was sie wählen sollen. Bezeichnenderweise verzichtet der Artikel darauf, Ratschläge zu geben, und tröstet nur etwas lapidar: Vermutlich sind es die interessanten Leute, die mit dreißig nicht wissen, was sie wollen – und die es wahrscheinlich mit vierzig auch noch nicht wissen werden.
Sr. Christine Klimann
Der entscheidende Unterschied
Genau hier finden wir einen Unterschied zu den Aposteln, die sich zum Fischfang aufmachen und die Jesus nachfolgen und zu Leuten wie Franziskus, die sich bewusst entscheiden, ihr Leben völlig umzustellen, zu begegnen. Während sie zwar auch anfangs nicht wissen, wohin das Leben führen wird, so lassen sie sich von Jesus ansprechen und finden in ihm einen solchen Halt, dass sie nichts davon abbringen kann, ihr Leben nun konsequent zu führen und für die Sache des Herrn zielstrebig unterwegs zu bleiben. Die Generation Z hingegen legt sich nicht gerne fest und hat ihre Probleme, sich einem anderen anzuvertrauen – vor allem, wenn es dann auch noch Gott selbst ist, der wie Jesus am Ufer auf sie wartet, doch von ihnen nicht erkannt wird.
Was aber kann ihnen helfen? Dazu schreibt Sr. Christine weiter:
Was […] am dringendsten Not tut, sind Menschen zum Reden. Menschen, die ihnen zuhören, von denen sie sich verstanden fühlen und die helfen zu klären, was denn nächste Schritte sein können. Das kann sehr unterschiedlich sein. Die Jugendlichen von Sr. Johanna, denen alles egal ist, müssen wahrscheinlich erst einmal die Erfahrung machen, dass sie es wert sein könnten, dass sie sich Fragen über sich selbst und ihr Leben stellen. Wer von der Fülle von Möglichkeiten erschlagen wird, wird lernen müssen, einen inneren Kompass zu entwickeln, der in der Unübersichtlichkeit Richtung weisen kann. […] Es geht also um Ermutigung, aber auch um Hilfen in der Entscheidungsfindung. Dafür bietet die ignatianische Spiritualität, das heißt die Spiritualität, die auf den heiligen Ignatius von Loyola zurückgeht, eine reiche Fundgrube. Ignatius rät, auf die „mociones“, die inneren Regungen, zu achten und so unterscheiden zu lernen, was zu mehr Leben führt. Mehr Leben, das heißt, wo Begeisterung und ein persönliches Angesprochensein spürbar werden, wo die Lust wächst, sich einzusetzen und so etwas wie Berufung – eine Einladung Gottes an mich – erahnbar werden kann. Für junge Menschen der Generation Z, die mit dem Smartphone aufgewachsen und es gewohnt sind, buchstäblich rund um die Uhr online zu sein, und die gleichzeitig lernen, Musik zu hören, ein Video schauen und mit Freunden chatten können, sind die inneren Regungen oft eine fremde Welt. Eine Welt, die ganz schön Angst machen kann. Es braucht Geduld und gute Mit-Hinhörer auf dem Weg, um mit dieser Welt der Sehnsüchte und Ängste, der Hoffnungen und Traurigkeiten, der Enttäuschungen und heimlicher Leidenschaften vertraut zu werden. Wer lernt, diese eigenen inneren Regungen zu „lesen“ und zu verstehen, wird sich leichter tun, tragfähige Entscheidungen zu treffen und so auch in der Unsicherheit eine Richtschnur zu haben, die zur Orientierung hilft – hin zu mehr Leben, und vielleicht sogar hin zu der Frage, was denn der ganz persönliche Ruf Gottes sein könnte.
Sr. Christine Klimann
Und am Ende doch ein zukunftsweisender Zuruf!
Das Evangelium des reichen und unerwarteten Fischfangs (Joh 21,1-14) kann daher als ein Mutmach-Evangelium gelesen werden. Da ist einer, der auch bei den Enttäuschungen, den leeren Netzen des Lebens, am Ufer auf uns wartet und der zuspricht: „Versuch es doch nochmal auf andere Weise und auf der anderen Seite.“ Einer, der nach den dunklen Nächten der Verzweiflung und der Sinnlosigkeit mancher Zeit im Leben sagt: „Nun wirst auch du Erfolg haben. Fang an.“ Amen.